Hofmeister in Frankfurt bei Susette  Gontard --- Diotima (1795-1798)

Zeittafel

1795:      März: erste Begegnung mit Sinclair, bald tiefe Freundschaft

1796:       Januar: Hölderlins Hauslehrerstelle bei Gontard beginnt, Liebe zur Hausherrin Susette

                Juli: wegen Krieg Flucht der Gontards ohne Hausherrn, mit Hölderlin

                November: erstes offenes Bekenntnis zum Dichterberuf

1797:      erster Band des „Hyperion“ erscheint um Ostern

                August: Besuch bei Goethe

1798:      Verlässt Fam. Gontard im September, bleibt aber wegen Susette in der Nähe.

                Viele heimliche Briefe werden ausgetauscht, seltene heimliche Treffen.

1800:      Im Mai eine endgültige Trennung von Diotima.

  nach:  Hölderlin, von Ulrich Häussermann, Rowohlt Bildmonographie, 1970

 

Susette Gontard und Diotima

(fiktives Interview)

Reporter:               Danke, dass Sie uns dieses Interview geben. Hölderlin musste ihr Haus vor einem halben Jahr    verlassen. Wie kam es dazu?

Susette:                 Ich habe ihm selber dazu geraten. Hölder und mein Ehegatte unter einem Dach war nicht mehr möglich. Im September ’98 fielen sehr harte Worte, so dass es das Beste für Hölder war. Er hatte schon zuvor sehr unter der Schikane meines Mannes zu leiden. Er sah ihn als niedrigen Angestellten an, da er wie alle anderen im Hause seine Arbeit verrichtete und sein Geld dafür bekam. Diese Stellung ließ sich auch mit Hölderlins Persönlichkeit nicht auf Dauer vereinbaren.

Reporter:               Wie erhalten Sie die Beziehung aufrecht?

Susette:                  Wir schreiben uns ständig. Aber ich vermisse ihn trotzdem sehr. Und er mich ebenfalls. Ich fühle mich, als ob mein Leben  seit seiner Abreise verwelkt. Wir sehen uns nur in aller Heimlichkeit jeden ersten Donnerstag im Monat. Leider auch nur für wenige Stunden. Mein Gatte hütet mich nun mit sehr wachsamen Augen.

Reporter:               Wie sieht Ihre Ehe nun aus?

Susette:                 Nicht sehr viel anders als zuvor. Es war eine Heirat aus konventionellen und repräsentative  Gründen. Aber über Hölder und mich wurde schon überall geredet. Es ließ sich nicht verbergen. Nirgendwo konnte jemand seinen Namen erwähnen, ohne dass eine langwierige Unterhaltung über unsere Liebe entstand.

Reporter:               Wie haben Sie Hölderlin überhaupt kennen gelernt?

Susette:                 Ich benötigte einen Haushofmeister für meinen Sohn Henry. Bei Hölders erstem Besuch war er acht Jahre alt und wir wollten ihn unterrichten lassen. Mein Mann Cobus meinte, er verstehe viel vom Geschäft, aber nicht vom Kinder erziehen. Im März 1795 traf Hölderlin zum ersten Mal Sinclair, es entstand auch eine Freundschaft, und durch ihn lernte Hölder unseren Hausarzt kennen, welcher ihm diese Stelle vermittelte. Im Januar 1796 trat er die Stelle bei uns an.

 

Susette Gontard

Susette Gontard

Büste von Landolin Ohmacht

 

Reporter:               Wie geht es Ihrem Sohn jetzt, nachdem Hölderlin Ihr Haus verlassen hat?

Susette:                 Eigentlich nicht schlecht, obwohl er ihn vermisst. Zunächst hat er ihm auch geschrieben, aber sein Vater verbot es ihm. Er ist sehr eifersüchtig.

 

Reporter:               Hatte er als Hofmeister auch Zeit für andere Dinge oder musste er sich ständig um seinen Zögling kümmern?

 

 

 

 

Susette:                Nein, er unterrichtete nur Vormittags. So hatte er zeit zum Schreiben...und Zeit für mich. Allerdings verstärkte sich                               auch seine Krankheit. Zu Hölderlins Leid wurden seine Nervenschmerzen vom Hausarzt als Hypochondrie                               bezeichnet.

Reporter:               Wann sind sie sich näher gekommen?

Susette:                 Wir mochten uns auf Anhieb, doch die Möglichkeit in Ruhe Zeit miteinander zu verbringen gab es erst kurz im Mai, als wir in ein Landhaus auf der Pfingstweid zogen. Dies ist bei Weitem nicht zu vergleichen mit der Zeit nach Juli. Wegen des Krieges flohen wir mit den Kindern. Hölderlin begleitete uns, mein Mann allerdings blieb zu Hause. Nun leiden wir sehr unter der Trennung. Eine Beziehung über Briefe ist nicht sehr erfüllend, allerdings ist es nicht anders möglich. Eine Leidenschaft brennt in uns und kann doch nicht heraus. Vor dem Verzweifeln rettet einen nur die beruhigende Schwermut. Es ist nicht leicht. Er kam als Zerrissene aus Jena zu mir, durch mich erlernte er wieder das freie Schreiben. Das hat er oft gesagt. Ich befreite ihn von seinen Zweifeln. Er erkannte die Tiefen der Liebe und auch die des Leids, denn auch hier bringt uns das Leben die tiefsten Gefühle. Jetzt ist er allerdings sehr stark mit Gefühlen des Schmerzes erfüllt. Er hat einen starken, tiefen Glauben an die Liebe bekommen und kann nicht verstehen das es nun keine Chance für diese geben soll.  Nun werde ich meinen begonnenen Brief an ihn beenden, ich hoffe Sie geben sich mit dem hier Gesagten zufrieden.

Reporter:               Ja, sehr vielen Dank. (F)

 

Nach:       Hölderlin, von Ulrich Häussermann, Rowohlt Bildmonographie, 1970, (Zitate auch hier)

Hölderlin, Chronik seines Lebens mit zeitgenössischen Abbildungen, hrsg. Von Adolf Beck, Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig, 1975

Anmerkung: Wir haben die Form eines fiktiven Interviews gewählt, um die Situation zwischen Susette und Hölderlin aus IHRER Sicht beschreiben zu können.

Diotima

Jüngere Fassung

 

Leuchtest du wie vormals nieder,

Goldener Tag! und sprossen mir

Des Gesanges Blumen wieder

Lebenatmend auf zu dir?

Wie so anders ists geworden!

Manches, was ich trauernd mied,

Stimmt in freundlichen Akkorden

Nun in meiner Freude Lied,

Und mit jedem Stundenschlage

Wird ich wunderbar gemahnt

An der Kindheit stille Tage,

Seit ich Sie, die Eine, fand

 

 

 

 

Diotima! edles Leben!

Schwester, heilig mir verwandt

Eh ich dir die Hand gegeben,

Hab ich ferne dich gekannt.

Damals schon, da ich in Träumen,

Mir entlockt vom heitern Tag,

Unter meines Gartens Bäumen,

Ein zufriedner Knabe, lag,

Da in leiser Lust und Schöne

Meiner Seele Mai begann,

Säuselte, wie Zephirstöne,

Göttliche! dein Geist mich an.

 (...)

 

 

Diotima

 

Komm und besänftige mir, die du einst Elemente versöhntest,

   Wonne der himmlischen Muse, das Chaos der Zeit,

Ordne den tobenden Kampf mit Friedenstönen des Himmels,

   Bis in der sterblichen Brust sich das Entzweite vereint,

Bis der Menschen alte Natur, die ruhige, große,

   Aus der gärenden Zeit mächtig und heiter sich hebt.

Kehr in die dürftigen Herzen des Volks, lebendige Schönheit!

   Kehr an den gastlichen Tisch, kehr in den Tempel zurück!

Denn Diotima lebt, wie die zarten Blüten im Winter,

   Reich an eigenem Geist, sucht sie die Sonne doch auch.

Aber die Sonne des Geists, die schönere Welt, ist hinunter

   Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nur.

 

Friedrich Hölderlin, „Werke/Briefe/Dokumente“, Winkler Weltliteratur, München, 1963, S.24

 

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