Einleitung

 

1.1 Hinführung zur Problemfrage:

„Heimat ist dort, wo wir Land und Leute kennen, wo die Wege und Plätze vertraut sind. Heimat ist dort, so wird mitunter gesagt, wo man nicht erklären muss, wer man ist und was man ist. Heimat bedeutet Geborgenheit. (...) Wenn wir uns das vor Augen führen, dann wird zugleich deutlich, welche Katastrophe der Verlust von Heimat für Menschen bedeutet.“. Mit diesen und ähnlichen Sätzen kam Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich des Tags der Heimat am 13.09.1998 auf einer Großveranstaltung des Bundes der Vertriebenen, auf die Belastung des Deutsch Polnischen Verhältnisses durch die Vertreibung der Deutschen zu sprechen. Denn in seinen Augen ist der Verlust der Heimat einer der Hauptgründe für das gespannte Verhältnis zwischen Deutschen und Polen. In diesem Kontext beteuerte Schäuble immer wieder den Wunsch Deutschlands auf Freundschaft mit Polen: „Was wir schaffen wollen, das ist ein Europa der Vielfalt, ein Europa, in dem Völker und Volksgruppen mit unterschiedlichen Kulturen und Traditionen einträchtig zusammenleben, (...)“. Der Wunsch Schäubles ist an sich sehr lobenswert, aber fraglich bleibt trotzdem: Ist eine deutsch-polnische Freundschaft im Schatten der Vergangenheit heute überhaupt noch möglich, oder hat die Geschichte nach 1939 das Verhältnis zu sehr belastet? Der Frage möchte ich mit dieser Arbeit nachgehen und zwar am Beispiel des Lagers Potulice. Auch Schäuble greift in seiner Rede dieses Lager als Möglichkeit der Versöhnung auf, denn: „Vor dem ehemaligen Lager Potulice bei Bromberg zum Beispiel, in dem vor 1945 Polen, nach 1945 Deutsche gelitten haben, erinnert seid kurzem ein Mahnmal an die Leiden auch der Deutschen auf gemeinsame Initiative eines Polen und eines Deutschen, die beide dort als Kinder interniert waren, und mit Unterstützung der polnischen Behörden.“ Ist dies wirklich der Anfang eines freundschaftlichen Verhältnisses der beiden Völker oder nur eine  wünschenswerte Ausnahme? Diese Frage wird noch zu klären sein.

 

1.2 Historischer Hintergrund:

Um die Tragweite der Belastung der Geschichte zu begreifen, muss man zunächst wissen, was historisch gesehen in der besagten Zeit geschehen ist. Es ist den meisten von uns bekannt welche Qualen die Polen und andere Völker unter Adolf Hitler und seiner Politik zu leiden hatten. Nach der deutschen Ideologie waren die Polen Untermenschen und nicht der arischen Rasse gleichzusetzen. Mit dem Beginn des Krieges (01.09.1939) und der Ankunft der Deutschen begann für viele Polen eine  schreckliche Zeit. Sie wurden in Lagern interniert und dort auch getötet. Eines dieser Lager war Potulice. Als sich die militärische Lage der Deutschen schon so weit verschlechtert hatte, das kein Sieg mehr zu erwarten war, wurde auf der Konferenz von Potsdamm die „Umsiedlung auf geregelte und humane Weise“ beschlossen. Ob „geregelt“ und „human“ bleibt fraglich, aber umgesiegelt wurde. Ab Beginn 1945 wurden Deutsche, die im heutigen Polen lebten und arbeiteten vertrieben oder sie flüchteten vor den eintreffenden Russen. Dabei starben schätzungsweise 400.000 Menschen. Ein Teil von den Flüchtlingen wurde in Arbeitslagern festgehalten. Etwa 100.000 Deutsche wurden bis 1950 in Lagern interniert und ca. 20.000 kamen dort auf Grund von Misshandlungen, Epidemien und Hunger ums Leben. Dies waren zumeist Lager, die während des Krieges von den Deutschen zur Internierung von Polen benutzt worden waren. Potulice war eines von ihnen. Dort allein waren bis 1950 ca. 35.000 Deutsche interniert und von ihnen starben ca. 3.500. Potulice war damals als eine Art Kinderlager bekannt, da dort fast ausschließlich Frauen, Kinder und alte Leute festgehalten wurden. Wie schlecht die Lebensbedingungen in Potulice waren, zeigt vielleicht die Tatsache, dass es dort Zeiten gab, in denen von 50 Säuglingen nur 2 überlebten. „In diesen Lagern wurden die Rollen vertauscht: Viele Polen, die als  Opfer unter deutscher Herrschaft eingesessen hatten, meldeten sich in polnischen Zeiten zum Wachdienst. Aus Gepeinigten wurden Peiniger. Bis in die Lagerordnung übernahm das kommunistische Polen das nationalsozialistische Muster. Zwar gab es keine systematische Massenvernichtung wie unter dem NS-Regime, aber auch die Deutschen wurden geschlagen, gequält und vergewaltigt.“*

 

1.3 Begründung der Zeitzeugenbefragung:

 Um den Einfluss solcher Geschehnisse auf das Verhältnis beider Völker verstehen zu können, muss man auch die menschliche Seite der Katastrophe betrachten, denn hinter all den Zahlen stecken Menschen und ihre Schicksale. Tausende Menschen haben ihre Heimat, ihren Besitz und häufig auch Angehörige verloren. Was mag ein Mensch heute den Polen gegenüber fühlen, der so etwas erlebt hat? Und wie beeinflusst dies die folgenden Generationen? Anhand eines Einzelschicksals kann man dies vielleicht am ehesten begreifen. Aus diesem Grund möchte ich im folgenden Teil das Leben der Familie Drenkhahn und im Besonderem der ältesten Tochter Hildegard beschreiben und erläutern. Mir ist klar, dass eine solche Zeitzeugenbefragung immer nur aus der subjektiven Sicht des Befragten wiedergegeben werden kann. Auch bin ich mir im Klaren darüber, dass die Angaben teilweise ungenau seien können, da nun mittlerweile mehr als 50 Jahre zwischen dem Erlebten und der Befragung liegen. Dennoch ist es aus den oben genannten Gründen unerlässlich eine Zeitzeugenbefragung durchzuführen. Außerdem habe ich mich auch noch durch andere Quellen (siehe Quellen und Hilfsmittelverzeichnis) über den Einzelheiten des Lagerlebens in Potulice erkundigt. Besonders zu nennen wäre hier das Buch „Die Rache der Opfer“ von Helga Hirsch, welches sehr viele Erzählungen Hildegards belegt.



* Quelle: Helga Hirsch: „Die Rache der Opfer“ / Umschlag

 

zurück zu Potulice Inhalt

zurück zur Startseite