Zukunft des Konfliktes
3.1 Möglichkeiten für eine positive Bewältigung des Konfliktes:
Aber
natürlich gibt es auch gegenteilige Dokumente, wie die „Stuttgarter
Charter“*
von 1950: „Wir Heimat Vertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser
Entschluss ist uns ernst und heilig in Gedanken an das unendliche Leid, welches
im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat“. Und
auch
die anfangs in der Schäuble-Rede zitierte Initiative eines Deutschen und
eines Polen für ein Mahnmal in Potulice gehören zu den positiven Aspekten der
Vergangenheitsbewältigung.
3.2 Veränderung der Beziehung zu Polen über 3 Generationen hinweg:
Doch
wie ändern sich die deutsch-polnischen Beziehungen über Generationen hinweg?
Hildegard heiratete einen katholischen Mann und heißt seitdem Hildegard Thüer.
Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Bernd und Frank. Wie haben die
Vergangenheit und die Erzählungen der Mutter sie beeinflusst?
Eines
fällt sofort auf: Unüblicherweise sind beide Kinder evangelisch, obwohl der
Vater katholisch ist. Hildegard bestand darauf, ihren Kindern nicht die
polnische Religion zu geben, und ist sehr glücklich mit dieser Entscheidung.
Aus der Befragung des älteren Sohnes Bernd geht hervor, dass seine Mutter ihn
auch noch anderweitig in seiner Beziehung zu Polen beeinflusst hat, jedoch ohne
das er ihre Meinung vollkommen übernommen habe. Ein Aspekt ist zum Beispiel die
Bundeswehr. Hildegard sieht ihre Zeit im Lager als direkte Folge des Krieges und
verabscheut also alles, was damit zu tun hat. Außerdem waren die Aufseher im
Lager polnische Soldaten. Das wollte sie alles für ihre Söhne nicht. So kam
es, dass Bernd aus Flucht vor dem Wehrdienst nach Berlin zog und vor den Feldjägern
von seiner Mutter gedeckt wurde. Bis heute hat er weder seinen Wehrdienst noch
einen Ersatzdienst abgeleistet. Der jüngere Sohn Frank ging trotz Bedenken der
Mutter zum Wehrdienst.
Außerdem
bläute Hildegard ihren Kindern immer wieder ein bloß keine Polin zu heiraten.
Darin hielten sie sich auch bis jetzt. Bis heute ist auch keiner der beiden je
nach Polen in den Urlaub gefahren oder ähnliches.
Aber
natürlich unterlagen die Kinder nicht nur dem Einflussbereich ihrer Mutter,
sondern hatten auch Freunde. Und unter denen waren in diesem speziellen Fall
auch deutschstämmige Polen. So wusste Bernd natürlich auch, dass Polen keine
Unmenschen sind. Wichtig ist in dem Zusammenhang auch, dass er die Geschichten
seiner Mutter zwar kennt, aber selbst keine schlechten Erfahrungen mit Polen
gemacht hat. Also hat er sich aus der Meinung seiner Mutter und der seiner
Freunde eine eigene Meinung gebildet. Er ist vielleicht ein wenig vorsichtiger,
wenn er einen Polen kennen lernt, und auch er verwendet manchmal Vorurteile
(„In Polen werden dir die Autos geklaut wenn du drin sitzt“), aber im Großen
und Ganzen ist er den Polen gegenüber schon wesentlich offener als seine
Mutter.
Wenn
wir nun die dritte Generation betrachten, betrachten wir meine Geschwister und
mich, Anja Thüer (siehe Anlage 5.4). Auf mich bezogen war der Einfluss von
Hildegard natürlich viel geringer, da ich sie als meine Großmutter nicht täglich
sehe, und wenn ich sie sehe, reden wir auch nicht immer über die Vergangenheit.
Außerdem ist mir und auch Bernd natürlich bewusst, dass es nicht nur allein
die `bösen` Polen waren, sondern dass auch die Deutschen mindestens genauso
schlimme, wenn nicht schlimmere Verbrechen begangen haben. So kann man sagen,
dass ich in der dritten Generation weitgehend objektiv Polen gegenüber bin.
Aber allein die Tatsache, dass ich dies zum Thema meiner Facharbeit gemacht
habe, zeigt, dass ich mich für das Thema interessiere und beide Seiten
verstehen kann.
So
kann man sagen, dass sich die Meinung über Polen über die Generationen hinweg
stark geändert hat. Dies ist positiv zu beurteilen, da es eine Annäherung der
beiden Völker erleichtert.
3.3 Politische Normalisierung:
Politisch
gesehen normalisierte sich das Verhältnis, zumindest formal schon früher
(1970). Der deutsch-polnische Vertrag behandelt die „Grundlagen der
Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen“*.
Aber die menschliche und individuelle Annäherung wird länger brauchen.
3.4 Schwierigkeiten der Anerkennung der Polnischen Schuld:
Wichtig
ist dabei, dass man nicht versucht die Wirklichkeit zu vergessen oder zu verdrängen.
Aber so war es leider jedoch häufig auf Seiten der polnischen Regierung. Vor
1989 war es nahezu unmöglich Einblick in Akten aus der besagten Zeit zu
erhalten. Außerdem wurde die Existenz des Lagers Potulice auch lange
bestritten. So bekam Hildegard auf einem Flüchtlingstreffen in Bielefeld auf
die Frage nach Potulice zur Antwort, dass es so ein Lager nie gegeben hätte und
das seine Existenz nur ein Gerücht sei. Als einziger Beweis für ihr Leben im
Lager hatte Hildegard einen Lagerschein (siehe Anlage 5.3) und ihren Flüchtlingspass
(siehe Anlage 5.1). Auch der Antrag auf Entschädigung von Seiten Hildegards
wurde abgewiesen (siehe Anlage 5.3) und erst viel später auf Anfrage beim
Regierungspräsidenten in Münster mit 1.000 DM akzeptiert. Mit der Öffnung
Osteuropas wurde die polnische Regierung kooperationsbereiter. Dies zeigt auch
das schon häufiger erwähnte Beispiel des Mahnmals in Potulice, das mit Unterstützung
der polnischen Behörden entstand. Dennoch ist die Situation noch immer nicht
so, wie sie wünschenswert wäre. So musste Die Autorin Helga Hirsch die
Erfahrung machen, dass jede Akte, die sie zu sehen bekam zuvor von dem
Archivdirektor oder seinem Stellvertreter geprüft und dann unvollständig
ausgehändigt wurde.
* Quelle: Rede von Dr. Wolfgang Schäuble